Endlich mal wieder ein Post. Bald wird wieder mehr und öfter etwas kommen. Unter Mithilfe von Pablo Haller und Florian Vetsch oder Amsel und Tanger natürlich.
Hier eine kleine Erinnerung:
Die nächsten vier Jahre saß der Kultautor meist in seinem Zimmer der Pension „Muneria", monomanisch schreibend nach dem Genuss von Opiaten oder Haschischmarmelade. Das Resultat war der Roman „Naked Lunch", von dem er sagte, er wisse gar nicht, wie er zustande gekommen sei. Tatsächlich mussten seine Freunde Allen Ginsberg, Alan Ansen und Jack Kerouac einen unübersichtlichen Wust von Manuskripten, Notizen und Briefen bearbeiten, bevor daraus ein Buch entstehen konnte. Heute gilt „Naked Lunch" als ein Klassiker der modernen amerikanischen Literatur.
Burroughs war nicht der einzige Künstler, den es in die Internationale Zone im Norden Marokkos zog. Die Liste bekannter Autoren, Maler und Musiker ist lang: Jane Bowles und Paul Bowles, Tennessee Williams, Truman Capote, Francis Bacon, Brion Gysin, Jean Genet, Alberto Moravia und Samuel Beckett, um nur einige wenige zu nennen. Ihnen folgten, wie so oft, die Reichen und Schönen der Haute Bohème.
Viele von ihnen kamen aus Neugier, die meisten allerdings hatten ähnliche Motive wie Burroughs und wollten feiern. „Jeden Tag gab es irgendwo in der Stadt eine große Party", erzählte Paul Bowles, der seit den vierziger Jahren in Tanger wohnte und durch die Verfilmung seines Romans „Himmel über der Wüste" von Bernardo Bertolucci 1990 international berühmt wurde. „Viele Leute kamen, um ‚weiße Weihnachten' zu feiern, womit sie natürlich Kokain meinten."
Legendär waren die Partys in der Villa von Barbara Hutton. Die exzentrische Multimillionärin, die sieben Ehemänner verschliss, legte Wert auf Extravaganz und engagierte, wenn nötig, Dutzende Reiter aus der Sahara als Empfangskomitee. „Für eine Party bei Barbara Hutton konnte man nicht einfach ein Abendkleid aus dem Schrank nehmen", erzählte Marguerite McBey, Malerin und Erbin des Lucky-Strike-Imperiums, bei einer Führung durch ihr luxuriöses Anwesen mit Aussichtsturm, Strandhaus und großzügigem Atelier am Alten Berg von Tanger. „Ich flog vorher nach London und ging von Designer zu Designer, bis ich bei John Cavanagh ein Kleid entdeckte, das ich unbedingt haben musste."
Der Möbelproduzent Yves Vidal lud regelmäßig in sein mondänes Riad, eines der traditionellen marokkanischen Häuser mit Innenhof, in der Kasbah, beliebt wegen des partytauglichen Swimmingpools. Bei 1,20 Meter Tiefe konnte man darin selbst im Vollrausch kaum ertrinken. „Als Tennessee Williams in voller Klamotte mit einem Glas Whisky in der Hand das Becken durchwatete, war das unglaublich komisch", erinnerte sich Sir David Herbert, ein Abkömmling des englischen Königshauses, der „die Unterhaltung von Gästen" als seine „Lebensaufgabe" betrachtete. Der zweite Sohn des Earl of Pembroke empfing High Society, Maler und Schriftsteller fast täglich zu Lunch, Diner oder Cocktail in seiner Villa. Seinen Gästen zeigte er gerne den riesigen, verwilderten Garten und die Volieren mit exotischen Vögeln, die ihren adeligen Besitzer stets mit lautem Pfeifen begrüßten.
Sehr beliebt waren auch Feste in den „Grotten des Herkules" am Atlantikstrand, die man heute als Motiv auf jeder Postkarte von Tanger findet. Die geräumigen Höhlen, in denen einst der griechische Halbgott eine Rast eingelegt haben soll, wurden mit Teppichen ausgelegt und mit Hunderten von Kerzenleuchtern erhellt. „Truman Capote gab dort eine Party", berichtete Paul Bowles, „wollte aber partout nicht die Klippen zur Höhle hinuntersteigen, aus Angst vor Skorpionen. ,Niemand bringt mich darunter, nicht mal für eine Million Dollar', sagte er. Schließlich baute man ihm eine kleine Sänfte. ,Bye-bye!', hat er allen zugerufen, als man ihn wie einen Prinzen die Klippen hinuntertrug."
William S. Burroughs hatte zu dieser Hautevolee keinen Zutritt. Mit einem monatlichen 200-Dollar-Scheck seiner Eltern galt er als minderbemittelt, hauste in einer schäbigen Pension und kannte - außer Apothekern, Dealern und Liebhabern - kaum jemanden. „Eine Schriftstellerkolonie gibt es nicht", schrieb „el hombre invisible", der unsichtbare Mann, wie er in Tanger genannt wurde, an seinen Freund Allen Ginsberg in New York, „und wenn doch, dann leben sie irgendwo im Verborgenen."
Eher abseits hielt sich damals auch der Maler Francis Bacon. Wenn er nicht malte oder seine Zeit mit Liebhabern verbrachte, saß er im Casino und verspielte an manchen Tagen Hunderttausende Pfund Sterling. Auch Jean Genet konnte der schicken Gesellschaft nichts abgewinnen. Er traf sich mit marokkanischen Freunden in gewöhnlichen Cafés und las seinem Friseur in der Altstadt Gedichte von Stéphane Mallarmé vor. Samuel Beckett setzte sich in den Cafés möglichst weit abseits von den übrigen Gästen. Der aus Irland stammende Dramatiker wollte unter allen Umständen jedes Gespräch vermeiden. Selbst seine Frau durfte ihn nicht begleiten.
Tanger war bereits seit 1923 Internationale Zone, ein Freihandelsgebiet, in dem man keinen Zoll zahlte, keine Einkommensteuer, keine Erbschaftsteuer, keine Besteuerung von Aktien, Dividenden, Girokonten, von Hypotheken und Grundstücksverkäufen kannte. Für Devisentransfers existierten keinerlei Beschränkungen, ebenso wenig wie beim Arbeitsrecht, was die Löhne entsprechend billig hielt - ideale Geschäftsbedingungen, die Tanger schnell zum führenden Finanz- und Handelszentrum am Mittelmeer machten. Die politische Verwaltung bestand aus einer exekutiven Ratsversammlung (vier Franzosen, vier Spanier, drei Engländer, ein Portugiese, sechs Marokkaner, drei jüdische Marokkaner) und einem ebenfalls multinational besetzten Kontrollkomitee, das die Gesetze verabschiedete.
Öffentliche Ausgaben deckte man zum Großteil aus den Einnahmen einer wöchentlichen Lotterie. Die Aufgabe der Polizei beschränkte sich im Wesentlichen darauf, den Verkehr zu regeln, und griff nur bei schweren Delikten wie Diebstahl, Raub oder Mord ein. Ansonsten regierte das Prinzip Laisser-faire. Was anderenorts verboten war, wurde hier geduldet, vorausgesetzt allerdings, man verfügte über einen Pass der USA oder eines europäischen Landes. Tanger wurde zum Anziehungspunkt für all jene, die aus politischen Gründen, wegen krimineller Vergehen oder persönlicher Probleme auf der Flucht waren, zudem für alle, die sehr schnell sehr viel Geld verdienen wollten.
Kurz nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs besetzte Spanien die marokkanische Hafenstadt. Diktator Franco schenkte Nazi-Deutschland ein Botschaftsgebäude, aber der politische Einfluss des Faschismus blieb aus. Tanger war zu sehr damit beschäftigt, das zunehmend verwüstete Europa mit Waren zu versorgen. Trotz der neuen spanischen Verwaltung änderte sich nichts an den geschäftlichen Rahmenbedingungen. Der Weltkrieg, der Millionen von Menschen das Leben kostete, wurde in Tanger in Kaffeehäusern ausgetragen. „Wie schon zu Zeiten des Spanischen Bürgerkriegs", erinnerte sich Aron Harry Benchimol, ein jüdischer Geschäftsmann, in dessen mit Möbeln und Krimskrams vergangener Tage überladener Wohnung die Zeit scheinbar stehen geblieben ist. „Am Socco Chico, dem Kleinen Markt in der Altstadt, saßen die Franquisten im ,Café Fuentes' und die Republikaner im ,Café Central'. Man beschimpfte sich gegenseitig, und die Flaschen flogen hin und her."
Hier eine kleine Erinnerung:
Was für ein merkwürdiger Ort", sagte mir William S. Burroughs im Alter
von 78 Jahren, immer noch merklich beeindruckt von Tanger. Dabei lag
sein Aufenthalt in der marokkanischen Hafenstadt bereits eine kleine
Ewigkeit zurück.
1953 war der amerikanische Schriftsteller zum ersten Mal in die
Weiße Stadt an der Meerenge von Gibraltar gereist. Zwei Jahre zuvor
hatte er im Suff seine Frau in Mexiko-Stadt bei einem Wilhelm-Tell-Spiel
erschossen. Er suchte nun einen Ort, an dem er endlich zur Ruhe kommen
konnte. Die Internationale Zone Tanger schien für den damals 39-Jährigen
perfekt zu sein. Opiate und Marihuana waren frei erhältlich, ebenso Sex
mit jungen Männern. Der Harvard-Absolvent und Sohn eines
Industriellenhauses fühlte sich wie im Himmel. In den USA konnte er für
derlei Vorlieben im Gefängnis oder in der Psychiatrie landen. Die nächsten vier Jahre saß der Kultautor meist in seinem Zimmer der Pension „Muneria", monomanisch schreibend nach dem Genuss von Opiaten oder Haschischmarmelade. Das Resultat war der Roman „Naked Lunch", von dem er sagte, er wisse gar nicht, wie er zustande gekommen sei. Tatsächlich mussten seine Freunde Allen Ginsberg, Alan Ansen und Jack Kerouac einen unübersichtlichen Wust von Manuskripten, Notizen und Briefen bearbeiten, bevor daraus ein Buch entstehen konnte. Heute gilt „Naked Lunch" als ein Klassiker der modernen amerikanischen Literatur.
Burroughs war nicht der einzige Künstler, den es in die Internationale Zone im Norden Marokkos zog. Die Liste bekannter Autoren, Maler und Musiker ist lang: Jane Bowles und Paul Bowles, Tennessee Williams, Truman Capote, Francis Bacon, Brion Gysin, Jean Genet, Alberto Moravia und Samuel Beckett, um nur einige wenige zu nennen. Ihnen folgten, wie so oft, die Reichen und Schönen der Haute Bohème.
Viele von ihnen kamen aus Neugier, die meisten allerdings hatten ähnliche Motive wie Burroughs und wollten feiern. „Jeden Tag gab es irgendwo in der Stadt eine große Party", erzählte Paul Bowles, der seit den vierziger Jahren in Tanger wohnte und durch die Verfilmung seines Romans „Himmel über der Wüste" von Bernardo Bertolucci 1990 international berühmt wurde. „Viele Leute kamen, um ‚weiße Weihnachten' zu feiern, womit sie natürlich Kokain meinten."
Legendär waren die Partys in der Villa von Barbara Hutton. Die exzentrische Multimillionärin, die sieben Ehemänner verschliss, legte Wert auf Extravaganz und engagierte, wenn nötig, Dutzende Reiter aus der Sahara als Empfangskomitee. „Für eine Party bei Barbara Hutton konnte man nicht einfach ein Abendkleid aus dem Schrank nehmen", erzählte Marguerite McBey, Malerin und Erbin des Lucky-Strike-Imperiums, bei einer Führung durch ihr luxuriöses Anwesen mit Aussichtsturm, Strandhaus und großzügigem Atelier am Alten Berg von Tanger. „Ich flog vorher nach London und ging von Designer zu Designer, bis ich bei John Cavanagh ein Kleid entdeckte, das ich unbedingt haben musste."
Der Möbelproduzent Yves Vidal lud regelmäßig in sein mondänes Riad, eines der traditionellen marokkanischen Häuser mit Innenhof, in der Kasbah, beliebt wegen des partytauglichen Swimmingpools. Bei 1,20 Meter Tiefe konnte man darin selbst im Vollrausch kaum ertrinken. „Als Tennessee Williams in voller Klamotte mit einem Glas Whisky in der Hand das Becken durchwatete, war das unglaublich komisch", erinnerte sich Sir David Herbert, ein Abkömmling des englischen Königshauses, der „die Unterhaltung von Gästen" als seine „Lebensaufgabe" betrachtete. Der zweite Sohn des Earl of Pembroke empfing High Society, Maler und Schriftsteller fast täglich zu Lunch, Diner oder Cocktail in seiner Villa. Seinen Gästen zeigte er gerne den riesigen, verwilderten Garten und die Volieren mit exotischen Vögeln, die ihren adeligen Besitzer stets mit lautem Pfeifen begrüßten.
Sehr beliebt waren auch Feste in den „Grotten des Herkules" am Atlantikstrand, die man heute als Motiv auf jeder Postkarte von Tanger findet. Die geräumigen Höhlen, in denen einst der griechische Halbgott eine Rast eingelegt haben soll, wurden mit Teppichen ausgelegt und mit Hunderten von Kerzenleuchtern erhellt. „Truman Capote gab dort eine Party", berichtete Paul Bowles, „wollte aber partout nicht die Klippen zur Höhle hinuntersteigen, aus Angst vor Skorpionen. ,Niemand bringt mich darunter, nicht mal für eine Million Dollar', sagte er. Schließlich baute man ihm eine kleine Sänfte. ,Bye-bye!', hat er allen zugerufen, als man ihn wie einen Prinzen die Klippen hinuntertrug."
William S. Burroughs hatte zu dieser Hautevolee keinen Zutritt. Mit einem monatlichen 200-Dollar-Scheck seiner Eltern galt er als minderbemittelt, hauste in einer schäbigen Pension und kannte - außer Apothekern, Dealern und Liebhabern - kaum jemanden. „Eine Schriftstellerkolonie gibt es nicht", schrieb „el hombre invisible", der unsichtbare Mann, wie er in Tanger genannt wurde, an seinen Freund Allen Ginsberg in New York, „und wenn doch, dann leben sie irgendwo im Verborgenen."
Eher abseits hielt sich damals auch der Maler Francis Bacon. Wenn er nicht malte oder seine Zeit mit Liebhabern verbrachte, saß er im Casino und verspielte an manchen Tagen Hunderttausende Pfund Sterling. Auch Jean Genet konnte der schicken Gesellschaft nichts abgewinnen. Er traf sich mit marokkanischen Freunden in gewöhnlichen Cafés und las seinem Friseur in der Altstadt Gedichte von Stéphane Mallarmé vor. Samuel Beckett setzte sich in den Cafés möglichst weit abseits von den übrigen Gästen. Der aus Irland stammende Dramatiker wollte unter allen Umständen jedes Gespräch vermeiden. Selbst seine Frau durfte ihn nicht begleiten.
Tanger war bereits seit 1923 Internationale Zone, ein Freihandelsgebiet, in dem man keinen Zoll zahlte, keine Einkommensteuer, keine Erbschaftsteuer, keine Besteuerung von Aktien, Dividenden, Girokonten, von Hypotheken und Grundstücksverkäufen kannte. Für Devisentransfers existierten keinerlei Beschränkungen, ebenso wenig wie beim Arbeitsrecht, was die Löhne entsprechend billig hielt - ideale Geschäftsbedingungen, die Tanger schnell zum führenden Finanz- und Handelszentrum am Mittelmeer machten. Die politische Verwaltung bestand aus einer exekutiven Ratsversammlung (vier Franzosen, vier Spanier, drei Engländer, ein Portugiese, sechs Marokkaner, drei jüdische Marokkaner) und einem ebenfalls multinational besetzten Kontrollkomitee, das die Gesetze verabschiedete.
Öffentliche Ausgaben deckte man zum Großteil aus den Einnahmen einer wöchentlichen Lotterie. Die Aufgabe der Polizei beschränkte sich im Wesentlichen darauf, den Verkehr zu regeln, und griff nur bei schweren Delikten wie Diebstahl, Raub oder Mord ein. Ansonsten regierte das Prinzip Laisser-faire. Was anderenorts verboten war, wurde hier geduldet, vorausgesetzt allerdings, man verfügte über einen Pass der USA oder eines europäischen Landes. Tanger wurde zum Anziehungspunkt für all jene, die aus politischen Gründen, wegen krimineller Vergehen oder persönlicher Probleme auf der Flucht waren, zudem für alle, die sehr schnell sehr viel Geld verdienen wollten.
Kurz nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs besetzte Spanien die marokkanische Hafenstadt. Diktator Franco schenkte Nazi-Deutschland ein Botschaftsgebäude, aber der politische Einfluss des Faschismus blieb aus. Tanger war zu sehr damit beschäftigt, das zunehmend verwüstete Europa mit Waren zu versorgen. Trotz der neuen spanischen Verwaltung änderte sich nichts an den geschäftlichen Rahmenbedingungen. Der Weltkrieg, der Millionen von Menschen das Leben kostete, wurde in Tanger in Kaffeehäusern ausgetragen. „Wie schon zu Zeiten des Spanischen Bürgerkriegs", erinnerte sich Aron Harry Benchimol, ein jüdischer Geschäftsmann, in dessen mit Möbeln und Krimskrams vergangener Tage überladener Wohnung die Zeit scheinbar stehen geblieben ist. „Am Socco Chico, dem Kleinen Markt in der Altstadt, saßen die Franquisten im ,Café Fuentes' und die Republikaner im ,Café Central'. Man beschimpfte sich gegenseitig, und die Flaschen flogen hin und her."
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen