Montag, 26. November 2007

Frank Bröker: Berichte aus dem Menschenzoo I

"Ein Leben ohne Freunde ist wie eine weite Reise ohne Wirtshaus." – Jean de la Bruyères Erkenntnis

Intro: Dosierte Schönheit

Habe den Mp3-Player verlegt und weil mir die Stöpsel eh andauernd aus den Ohren fallen, will ich es dabei belassen. 1990. Das war vor Jahren. Die Fehlfarben sangen ihren Song viel eher, Ende der 70er. Wenn man wächst, jung ist, wächst auch die Musik mit. Die Bands blieben sich früher länger treu, machten über Jahre hinweg Platten. Dann waren da noch Eintagsfliegen, One-Hit-Wonder. Ohrwurm setzt ein: „Words, don’t come easy to me. This is the only way for me to say, I love you, words don’t come easy“. Heute gilt ein Musikerjahr für sieben. Eine Kurzlebigkeit mit der Unterlassungserklärung, beim ersten falschen Ton sofort aussterben zu müssen. Ich finde das sehr gerecht. Wenn Fußballer träge werden, müssen sie schließlich auch Lottobuden aufmachen. Und da reden wir jetzt von den nicht gerade Ambitioniertesten. Von denen, die man eines schönen Samstages überhaupt nicht vermisst. Wer waren noch gleich die Uwes Bracht und Wegmann? Keine Ahnung.

Überträgt man diese Chosen auf die Schönheit der Menschen, winke ich mit abstehendem Zeigefinger am Glas ab. Denn Schönheit muss echt sein. „Unikum statt Klinikum“, sehe ich die Schützer der Schönheit schon rufen, später mit Autolack an die Wände sprühen. Während der Chirurg der Patientin ein weiteres Stück Hirnrinde absaugt. Das, was ich am Menschenschlag, gerade wieder, als ich mich auf den Weg machte, entdecke, entspricht tendenziell dem Gegenteil. Die Einen sind so voller Makel, dass mir schlecht wird. Die Anderen sind maskierte Teilzeitarbeiter. Dann gibt es noch die Korrigierten, die Gedopten, die uns suggerieren sollen, sie seien bewundernswert. Das ist großer Mist. Schönheit kommt von innen, sagt man, und wenn das tatsächlich so sein sollte, hat Schönheit sehr viel Durst. Der Kellner, Haare wie ein junger Dackel, bringt die Zutaten dagegen. Irgendwo, im Nahen Osten, drückt ein Kind auf eine selbst gebastelte Fernbedienung. Sekunden später fliegt seine Mutter in die Luft.

Extro: Das Spiel fängt an

Wer es sich abends unter einem Hibiskus bequem machte, nur um von der Südsee zu träumen, galt als untragbar. Wir hörten uns lieber das Geschwätz in den Werbeblöcken großer Filme an und sahen uns dabei an den Abgesaugten satt. Unsere Diskussionen, und die darin eingeflochtenen, unverrückbaren Meinungen, verloren rasch an Haltbarkeit. Mal ging es darum, sich der RAF anzuschließen, mal darum, ob sich die Anschaffung eines Biomülleimers positiv auf das Weltklima auswirken würde. Übrigens – das Gegenteil war der Fall. Diskussionen aus der Wortspielhölle. Damals. Dieser doch sehr berechenbare Zeitpunkt. Geprägt von billiger Schönfärberei. Ich kann von mir sagen, damals ging es mir genauso wie heute. Dieselbe Unsicherheit, alles falsch zu machen, in der auch tatsächlich alles ungut verlief. Sicherlich, all die Sonnenwenden hatten ihr Gutes, ich überlebte sie zumindest. Aber nur, weil ich wirklich immer ein großer Optimist war. In allen Dingen. Und wenn ich diese Dinge wieder verließ, kamen neue. Das ist der Unterschied zum heutigen Kalenderriss. Jetzt wird das Turmzimmer, wird die Wohnung, immer voller. Ich werfe nichts mehr weg, bin ein Sammler bester Erinnerungen. Alles stapelt sich. Und ich gehe daraus hervor. Manchmal so ausgelassen, wie die Butter in der Pfanne. Die schlechten Ereignisse scheinen bei einem der letzten Umzüge abhanden gekommen zu sein. Vermutlich liegen ein paar im mittleren Westen, dort, wo es genauso wie in Chemnitz aussieht. Jeden Tag lanciere ich meine Flanken auf das Halbfeld da draußen. Wo die Verrückten und ich – keine Ahnung, warum sich diese Typen von mir angezogen fühlen – um jeden Ball, mit viel Tempo, der Bereitschaft zum vollen Risiko, Angriffe aus der Tiefe des Raumes starten. Gegen wen oder was ist vollkommen indiskutabel. Im Grunde haben wir uns alle nur eingerichtet. Auf dem Spielfeld. Einen Hafen geschaffen, den wir nicht einfach verlassen können oder wollen. Vermutlich würden wir selbst bei Luftangriffen in unseren Wohnungen ausharren. Wie alte, störrische Ostpreußen, die mit dicker Zigarre in der Hand auf das Einrücken der Roten Armee warteten. Dabei ist Flucht doch schon immer die Option mit der größten Erfolgswahrscheinlichkeit gewesen. Affekt über Ratio. Die Sonne als Affekt, der Mond als Ratio. Seit der 35. Minute muss Hamburg mit nur noch 10 Feldspielern auskommen. Ein Verteidiger weniger; der Trainer reagiert, wechselt die zweite Spitze gegen einen Mittelfeldmann aus. Vorbei, die gestaffelte, hintere Viererkette. Als der Schiedsrichter die rote Karte zog, hatte ich das Gefühl, mich im Schlepptau einer Ameise zu befinden, die mich fand, aufsammelte und in den Bau tragen wird. Wo bereits tausende andere auf mich warten. Der Freistoß des Gegners verpufft ins Aus. Ratloser Blick des Schützen, der ausspuckend über den Rasen trabt.

Vermutlich, und das ist eigentlich ein schöner Ansatz, hilft uns nur ein Krieg weiter. Ein kleiner Krieg, ausgefochten mit uns selbst, in dem all die Erinnerungen, Wohnungen und Inventare komplett ausgelöscht werden. Luft und Entspannung zum richtigen Zeitpunkt werden dringend benötigt. Wir müssen nur den Fußballkommentaren lauschen, um zu wissen, welch gedanklichem Unsinn wir täglich ausgesetzt sind. Das Spiel ohne Ball stimmt. Wir spinnen diese Gedanken doch nur, weil sie uns aufgesetzt werden. Und wer meint, dass wenigstens die Schlafträume unvergiftet sind, kann von Glück sagen, dass er sich an die meisten nicht erinnert. Denn schon beim Aufwachen stellen sie dir die Frage: Willst du heute ein Sieger oder ein guter Mensch sein? Ich lehne mich zurück. Das Gruschenko füllt sich leise, so, als kämen die Leute her, um zu beten. Selbst die Mutter aller Wracks, neben mir am Tresen, die so hässlich ist, dass man meint, eine Schiffsschraube sei ihr durch den Körper gebohrt worden, schläft in friedlicher Harmonie. Der Kabarettist, der mich abends in seinen Varietés als beispiellosen Retro darstellt, starrt gebannt auf den Flachbildschirm. Fruchtfliegen-Stukkas stürzen in kalte Getränke und der blondgraue Sportreporter, der in seinen Spielkommentaren immer behauptet, selbst im Stadion dabei gewesen zu sein, bestellt Bockwurst. Und noch ein Bier. Und niemanden hier, in dieser Kneipe, scheint das auch nur im Geringsten zu interessieren. Hamburg führt bis zur 80. Minute. Kurz vor Schluss der Treffer zum Ausgleich. Ist das Glas noch voll? Oder bin ich es? Die große Philosophie eines abgeschriebenen Tages. Ich spüre nichts anderes, als leichte Traurigkeit.

Sonntag, 25. November 2007

Pociao: Harakiri

Wir hätten uns auch anders begegnen können. Als Kind wollte ich Stewardess werden, da hatte der Pilot die vorgegebenen Koordinaten bereits verlassen. So aber war es umgekehrt: Ich lernte zuerst die Worte und dann die Bilder. Haben Sie je vom Vogel Uso gehört? Laut Überlieferung frisst er alle Lügen auf, die man im kommenden Jahr sagt, und verwandelt sie in Wahrheiten.

Seit Wochen bin ich für mich. Allein im leeren Haus, durch das der Wind streicht. Hilf mir, mich umzubringen. Eine Uhr bleibt stehen. Sterne brennen wie Fackeln, doch das Zimmer ist voller Schatten. Durchtrenne die Wortreihen, und die Zukunft sickert ein. Manchmal weiß ich nicht mehr, ob ich in einem Traum dieser glitzernden Stadtkulisse gelandet bin oder sie in meinem. Nichts ist vergessen, aber ich schreibe ins Leere. Sehe mich in der Lobby des Continental sitzen, neben einem Flügel, der nach Jahrzehnten Feuchtigkeit und Wind völlig verstimmt ist, ich sehe mich dort sitzen, einen Winter lang, frierend und durch die offene Tür aufs Meer starren. Alles will seine Zeit und die Zeit will es. Oder ist Zeit ein anderes Wort für Allah?

Paris, im Winter. Musiker aus Afrika sind angereist, wir sitzen auf dem Boden, der Pilot stellt mir Gysins Biografin vor, wir essen zusammen, es gibt Tee und eine Sebsi, und neben mir sagt jemand immer wieder dasselbe Wort: Soleil. Ich denke an Tanger und friere. Wenig später sehe ich zum ersten Mal den Film Sans Soleil von Chris Marker.

Selbst in diesem fremden Land muss ich meine Bewegungen definieren: Licht, das auf dem Weg zum Wasser durch die Bäume fällt, ein mechanischer Blick in die Briefablage, das Bedürfnis, eine bestimmte Musik zu hören, und nur sie. Gestern Abend am aufgewühlten Meer war ich der Wahrheit ganz nahe, zumindest blitzte sie sekundenlang auf: Ich muss den Körper betäuben, das Bewusstsein liegt ohnehin in Scherben. Hier kommen plötzlich Erinnerungen an ein Fieber, eine Sucht, die ich vergessen wollte. Es ist das Bedürfnis, Worte zu finden für das, was ich sehe und höre, denn ich möchte es malen: das leuchtend dunkle Blau der Trichterwinde, den Rauch des Holzfeuers, den heiseren Klang der Stimmen von Frauen, die sich aus den Fenstern gebeugt lang und breit guten Tag wünschen, das Rauschen der Kriegswimpelpalmwedel über mir, das Heulen von Hunden und Muezzins, die Totenstille zur Mittagszeit, durchbrochen bloß vom Knattern eines Motorrads, das seine Spuren im Traum hinterlässt. Es ist der Afrikanische Winter. Wem soll ich erzählen, was ich allein erlebe: die Fernsehantennen auf den Dächern, ein verwischtes Abendrot über der Stadt, den Duft des Kaffees auf dem Boulevard, das Lächeln junger Mädchen, die ich anstarre, als könnten sie mir etwas verraten, lächerlich ...

Erinnerung an einen anderen Winterabend in Frankfurt, der Pilot blättert Blöcke voller Aquarelle vor uns auf: Mädchenakte, einer nach dem anderen, es sind Hunderte, alle selbst gemalt. Ich weiß noch, dass ich kein Wort herausbrachte, ob aus Verblüffung oder Langeweile, kann ich nicht mehr sagen. Unsichtbare Zusammenhänge, die Jahre später ans Licht kommen, Zufälle jedenfalls gibt es hier nicht. Ich hätte auch Astronautin werden können. Sternzeit calling.

Meine Gedanken kreisen darum, was uns geschehen ist und warum keine Erleichterung kommt, bloß immer neue schwarze Wellen, Stunde um Stunde. Ich schreibe und weiß nicht was, außer dass in meinem Haus immer noch das Wasser abgestellt ist und ich morgens um sechs baden möchte. Es regnet ohne Unterlass. Tanger im Regen ist trostloser als das Ende der Welt. Wir haben uns auf der falschen Bühne getroffen, aber Dramen kann ich ohnehin nicht ausstehen. Ich zähle mir alle Möglichkeiten auf, ich reihe sie aneinander wie Perlen und bete sie herunter, um mir Mut zu machen. Das Geheimnis, das bleiben soll, flackert auf, wenn ich meinen Körper betrachte, der immer nur reagiert, im Gegensatz zum Kopf, der alles erfindet, sogar Geschichten, die in diesem Leben nichts verloren haben. Ich kämpfe um Ruhe; manchmal hilft alles nichts. Licht und Schatten hier sind hart wie Leben und Sterben. Auf der Flucht ... vor den Bildern, die an mir kleben, und vor den Erinnerungen. Ich sehe das Café Sehnsucht, ein Buch, ein Backgammonspiel. Der Pilot beugt sich herab, und die Stille zwischen den Wörtern ist scharf wie ein Messer. Ich sehe drei grüne Fensterläden am Socco Chico, hinter denen die Träume für immer begraben sind. Staub zu Staub. Im Grand Hotel von Fez sitze ich in einem hässlichen Speisesaal und zähle die Risse in der Wand. Selbst der Kellner hat ein großes Warten im Gesicht. In Meknes laufe ich mit Zaubersprüchen im Kopf durch den Souk. Schönheit macht mich hilflos vor Begierde. Ich phantasiere unablässig. Nichts lenkt ab, nichts beruhigt.

“Wer hat gesagt, die Zeit heile alle Wunden? Besser sollte man sagen, die Zeit heilt alles, nur nicht die Wunden. Mit der Zeit verliert die Wunde der Trennung ihre wahren Ränder. Mit der Zeit wird der begehrte Körper nicht mehr sein, und wenn der begehrende Körper schon aufgehört hat, für den anderen zu existieren, ist das, was bleibt, eine Wunde ohne Körper.”

Das Hotel Continental fällt langsam auseinander, der Regen verschleiert den letzten Anflug von Haltung. Alles, was ernsthaft ist, berührt wie eine Klinge, an der man sich verletzt. In Japan schickt man der Geliebten seinen abgehackten Finger, wenn man um Verzeihung bittet. Aber in Japan betet man auch für nicht abgeschickte oder zerrissene Briefe. Die Stadt ist übersät mit meinen Schnipseln. Heute dachte ich daran, wie es sein könnte, wieder sprechen zu lernen. Nicht um die Welt zu definieren, sondern um sie zu dechiffrieren. Als wäre ein anderes Leben möglich. Ich hätte lernen können, meinen Körper zu verlassen. Und noch was war da, am Strand, die Gewissheit, dass es mehr gibt als alles oder nichts, wir wissen nur noch nicht, was. Ich starre auf ein paar Safranfäden in meiner Handfläche. Da, wo der Regen sie berührt hat, bildet sich ein rötliches Muster auf der Haut. Einer war hier, der zu viele Fragen stellte.

Am Morgen das Gefühl einer Lüge. Seitdem geht es besser. Ich hatte die ganze Nacht von Trommeln geträumt. Wolkenfetzen flogen vorbei, aber es war alles dunkel. Draußen heulten die Hunde, oder waren es Wölfe? Ich wachte auf und träumte weiter. Der Rhythmus war immer derselbe. Etwas Bitteres ist in meinem Mund, das nicht weggehen will. Morgens um sechs hängt die Stadt wie eine blasse Kugel am dämmrigen Himmel. Die Wölfe sind verschwunden. Es ist jetzt leichter. Die Bilder kommen, aber sie bleiben stumm. Weiße Vorhänge bauschen sich im Wind. Plastiktüten und Möwen segeln um das Hotel. Ich beobachte den Schatten, der langsam an der Palme und ihren orangeroten Früchten herabfällt, ein müdes Abendkleid, entbehrlich, sobald es Morgen wird.

Dann kommt der Tag, an dem es an meiner Tür klopft, kurz bevor der Kundige einen weißen von einem schwarzen Faden unterscheiden kann. Yallah. Links über meiner Schulter schwimmt der Achtelmond, noch eine halbe Woche, und der Ramadan ist vorbei. Der Bus rumpelt durch die stockfinstere Nacht, schwarze spitze Kapuzen heben sich vor den Fenstern ab. Niemand spricht, selbst das obligatorische Radio schweigt. Einzig der Name Gottes ist in aller Munde. Menschenschatten tauchen am Straßenrand auf, Berber reiten auf Eseln zum nächsten Souk. Eine Ewigkeit später fällt der Blick aus dem Nichts in ein verführerisch funkelndes Lichternetz, mit dem sich die urbanen Gegenden des Planeten für die Nacht schmücken. Navigation durch einen fremden Raum; Reisende und andere Flüchtlinge sind die einsamsten Menschen der Welt. Sie denken sich Geschichten aus, um sich selbst zu unterhalten. Ich starre auf die Safranfäden in meiner Hand: Da, wo der Finger war, hat sich die Haut rot verfärbt.

Samstag, 24. November 2007

Alfred Hackensberger: The Mad Pig and the Clash of Civilisations

In the slaughterhouse of a small butcher shop the pigs are rinsed with warm water. But still then loud and nervous squealing can be heard for miles around. One pig after another is brought to the slaughterhouse and electrocuted before the knife has a chance.
Finally the last pig. The butcher picks up the electric tongs as usual.

Pig: I don’t want the electric stun. If then I must die I would like you to cut my throat. I want my blood to drain away slowly.

The butcher looks astonished.

Butcher: But cutting the throat is inhumane.

Pig: Not for me.

Butcher: It is the same for all. There are no differences in death.

Pig: To me there are. I am an Arab pig.

Butcher: That is impossible. There are no pigs in Arabia.

Pig: Arabia does not exist. You mean the Arab world.

Butcher: Maybe, but I’d rather say “Arabia”. It’s easier.

Pig: However, in Arabia which actually doesn’t exist there are pigs, of course.

Butcher: No, definitely not. That I would know of. Pigs among the Mohammedans, that’s impossible.

Pig: They are not Mohammedans, but only Muslims.

Butcher: Who cares, they are all alike. Whether Mohammedans or Muslims, anyway they don’t eat pork. Therefore they don’t have pigs. Enough!

Pig: All right, Muslims usually don’t eat pork…

Butcher (interrupting loudly): Just like the Jews!

Pig: Right, just like the Jews. By the way, I would not call them Jews, unpleasant term, but rather Hebrews.

Butcher: Hebrews. That’s crap. Jews are Jews and they don’t eat pork. Just like the Muslims. It’s against their religion. Also alcohol.

Pig: Muslims don’t drink alcohol, whereas Jews do.

Butcher: That’s news to me.

Pig: You see! Just as the Jews drink alcohol, there are pigs in Arabia.

Butcher: Alcohol and pork have nothing to do with each other.

Pig: That may be true. But Christians like eating pork.

Butcher: Even a little child knows that.

Pig: And they have plenty of those in Arabia.

Butcher: I’m getting tired of this. He checks the electric tongs.

Pig (loudly): So many, many Christians, everywhere.

Butcher: If it makes you happy. But now time’s up!

Pig: But I don’t want the electric stun. I’m an Arab pig.

Butcher: There are no Arab pigs.

Pig: Of course, there are. I am an Arab pig.

Butcher: Ha, don’t make me laugh. A pig from Arabia. Right in my slaughterhouse. Maybe you can even read the papers. Ha!

He puts the tongs against the pig’s head.

Pig: I utterly protest.

There’s a “click”, but nothing happens.

Butcher: Damn it! Jammed! But we’re gonna get there.

The butcher inspects his instruments.

Pig (disgruntled): Don’t you realize? Even your instruments break down! Believe it or not, I’m an Arab pig. And I insist that you cut my throat!

Butcher grumbles, fumbles with the instruments, doesn’t pay attention to the pig.

Butcher: You hear me? You can’t do that to me! No way!

Butcher returns. Without saying a word he puts the electric stuns on the pigs head and shoots. The pig collapses as if struck by a lightening bolt.

Butcher: Well, now I’m gonna cut this mad pig into pieces. So I finally have my peace and quiet.

End.

Freitag, 23. November 2007

Tangier Conference 2008

Call for Papers

Tangier, Morocco, Chellah Hotel, May 16, 17, 18, 19, 2008

Organized by

International Center for Performance Studies, Morocco

Research Group of Performance Studies, Abdelmalek Essaâdi University, Morocco

University of London Institute in Paris

Middle East Center, Middle Tennessee State University, USA

Department of European Languages University of Wales, Aberysthwith, UK

AMIN CENTRE LOGO.jpgThe fourth international Tangier conference will focus on the city as a site of trans-cultural encounters in art, literature, music, and politics in all periods up through the present and projecting into the future. We especially invite papers and panels to investigate the dynamics of the city’s cultural, spatial, and performative interactions, past, present, and future, including issues of change, confrontation, and alterity. We also invite a continuation of panels and discussions begun in previous conferences – following the methods and techniques of Juan Goytisolo’s as well as Andrew Hussey’s creative deconstruction of the urban morphology of Paris – of how Tangier might be re-invented as one of the World capitals of the twenty-first century. In broad historical terms we invite continuing evaluation of specific writers and artists who have come to or out of Tangier, from Tahar Ben Jelloun, Mohamed Choukri, Mohammed Azeddine Tazi, Ahmed Beroho, Souad Bahechar, Moumen Smihi, Farida Belyazid, Anouar Majid, Jillali Farhati, Zobeir Ben Bouchta, to Mohammed Mrabet and including the oral tradition some of whose storytellers and artists who were translated by Paul Bowles, as well as modernist painters like Matisse, existentialist writers such as Bowles, dramatists of various stripes such as Jean Genet and the brilliant minimalist Samuel Beckett, “Beats” such as Jack Kerouac, William S. Burroughs, Allen Ginsburg, and others, as well as more general movements associated with the various African, Andalusian or Islamic influences on western music in general and more particularly on American jazz and blues like the outstanding collaborations of Dar Gnawa in Tangier with Jazz legend Randy Weston. Our perspectives and horizons are all-inclusive.

Papers may focus on particular figures, paintings, films, performances, fictional texts or non-fiction, salient theoretical concerns, or historical and cultural issues. Creative, performative responses to the topic are also welcome. From this starting point, further papers and panels are invited to investigate the dynamics of the city’s cultural, spatial and performative interactions from past, present, and future.

Languages: Arabic, Tamazight, French, Spanish, and English. Abstracts are due by 31 December 2007 and should be submitted via e-mail to the conveners of the conference. Final papers are due by 30 March 2008:

· Khalid Amine, Research Group of Performance Studies, Abdelmalek Essaâdi University, Tétouan & International Center for Performance Studies, Morocco khamine@hotmail.com.

· Andrew Hussey, University of London Institute in Paris (ULIP), nuh@aber.ac.uk.

· Allen Hibard, Middle Tennessee State University, USA, ahibbard@mtsu.edu

· Barry Tharaud, San Diego State University, U.S.A. and Doğuş University, İstanbul, barrytharaud@yahoo.com.

· José Manuel Goï Pérez, Department of European Languages, University of Wales, Aberystwyth, jsg@aber.ac.uk

· Alfred Hackensberger, Poet, Germany/Morocco, hackensberger@hotmail.com

· George F. Roberson, Geography Human Dimensions Research Group, University of MassachusettsAmherst, USA, pelerinmondial@yahoo.com

Two Panel Sessions proposed by Pr Allen Hibbard

Middle East Center, Middle Tennessee State University, USA

Building on three previous conferences (“Writing Tangier,” “Voices of Tangier,” and “Performing/Picturing Tangier”), the proposed panels will explore the intriguing historical relationship between Beat figures and Tangier. Interest in the Beats has remained lively, both in the academy and the general public. The term “beat,” Jack Kerouac once noted, meant “characters of special spirituality who didn’t gang up but were solitary Bartlebies staring out the dead wall window of our civilization.” One critic has recently described the term as characterizing “an alternative America during the civil rights and Asian war years, a counter to philistinism and paranoia and part of an ongoing inquiry into the construction of nationhood.” It’s not unusual to find among American youth today a kind of nostalgia for the Beats and their times.

While the importance of Tangier for many Beat figures has always been recognized, the nature of the city’s role has not been thoroughly understood and articulated. Paul Bowles who had taken up residence in Tangier soon after World War II ended, unwittingly attracted a number of Beat figures to the city, even though his aesthetic vision stands in contrast to that of most of the Beats. In Tangier William S. Burroughs (with the help of Allen Ginsberg) assembled his masterpiece Naked Lunch. Brion Gysin, Gregory Corso, Jack Kerouac and others associated with the Beats made appearances in the city. Tangier also was a magnet for “late beats” such as Ira Cohen, Marc Schleiffer, Irving Rosenthal, Charles Wright, and Alfred Chester.

AMIN CENTRE LOGO.jpgBringing a discussion of the Beats to Tangier will likely reorient our thinking about this literary/cultural phenomenon, opening fresh approaches, critiques, and insights. Among the topics that might productively be addressed in this context are: the effect of Beats on Tangier, the Beat legacy in Tangier, interaction between particular Moroccans and the Beats, the Beats within the context of Moroccan independence, Tangier and the Beats within the context of American politics in the 50s, women’s roles (or lack thereof), and the place of the Beats within a wider historical context of Moroccan-American-European relations. Papers may focus on particular figures or texts, salient theoretical concerns, or historical/cultural issues. Creative, more performative responses to the topic are also welcome. Papers are thus invited to investigate the limits of this paradigm in theoretical and real, experiential terms.

Donnerstag, 22. November 2007

Alfred Hackensberger: Orientalism/English

1.
the orient
my students told me
was a construct
an invention of the west

none of it
was true
you only find
what you seek

physicists
had know
that for years
ah, i said

2.
of course, i like the view from my room
of the great mosque of tangier
the minaret illuminated in the night
and the muezzin
who wakes you in the early morning
nothing against that

in m’sallah, where i lived before
i heard them several times a day
when they brought the dead
to the mosque there
not to be washed, as i thought
but to pray

i craned my head then out of the window
such pleasant sight, the bearers
the green cloth over the body
the gold-embroidered script,
the monotonous singing
a sura from the koran
nothing against that

i also like the thought of fresh honey
that they put in the mouths of the dead
adding a few drops of water
against satan, to ward off the spirits
who could wrest them from the path to allah
at least, so I’ve read

3.
of course at home
if the priest
were to declaim the ave maria
five times a day
from the church tower
sooner or later
you’d feel like shooting him

but i like the easter processions
the semana santa in seville for example
the jostling, the trampling of the crowd
the kitsch, the sanctimonious hysteria,
the fervor the holy virgin
of course on strong men’s shoulders
don’t get me wrong

4.
i’ll go one step further
i must confess,
you see i have a fondness for guns
above all the machine gun
i like these men
who carry this thing so martially
like a companion in their hands
and strike fine, tough poses with her in firing positions

even when these men wear beards
kaftans or djellabas
it is a beautiful sight
the wild men in the desert
(not the martyrs with the cloths around the head
that’s a dreadful aesthetic)
it is the prospect of the fight
the great fight
against the evil evil
that nobody wants to fight any more
at least not in the golden west
where they’re all just democratic these days

of course, many will say that’s crazy
making a paul of saul
the people who will be the first to knock on your door
when their hour has come, the day of reckoning
terrestrial Armageddon is nigh
the cleansing of all unbelievers
blood flows in the name of god
as so often in something’s name

5.
all you can do then
is imagine a really nice death yourself
as in the house opposite for example
when the neighbor recently
suddenly
quickly sailed over to the other side
early one morning of a heart attack

two days all doors open
comings and goings
the women in the drawing room
the men off in the other room
everybody had to eat bread and honey
out of an enormous pot
the evil spirits again?

on the third day
cooking was allowed in the house again
eating and drinking, family and friends
a hundred, a hundred an fifty
two hundred people?
and of course singing from the koran
for hours and hours
till I became quite dizzy

the clattering from the kitchen
of the femmes de ménage
rose up loud to my room
as if they were standing beside me
the sweating young girls
before my eyes the stream in the living room
from the food, from the people
from the damp winter air

now i hear the children
outside the front door
dancing shouting running playing
as if it were not a funeral
as if no one had died
as if everything just continued
of course, you somehow think
your own dead could be like this
even when you’re lying beneath the earth

now they’ve stopped singing
perhaps they’re eating again
it’s so quiet all of a sudden
the great murmuring as ceased
only the children in the distance
for them it continues for a long time yet
from one feast to the next
till mine
till yours
till their own
it is 10 pm 14 minutes and 35 seconds
monday the 27th january 2003

Mittwoch, 21. November 2007

Alfred Hackensberger: Mittags im Pilo

nach der arbeit lasse ich mir von abdelkarim die schuhe putzen
obwohl ich sofort kaltes bier, targine und gambas
will der mann mit den schmutzigen schuhen, komm her
er setzt mich auf seinen kleinen schemel am gehsteig
von dem ich die spanische küste, die berge sehe
wie sie sich braun vom blauen himmel abzeichnen
zum greifen nah an diesem klaren, sonnigen tag

am place de canon männer mit am rücken verschränkten armen
in der hand mit gebetsketten spielen, übers meer nach tarifa starren
andere an die brüstung gelehnt oder auf einer kanone sitzend
was wollen sie in spanien, sagt abdelkarim spöttisch
als sklaven auf der plantage arbeiten, wohnen ohne wasser, ohne strom
wenn sie glück haben und bei der überfahrt nicht im meer ertrinken
ich klopfe ihm auf die schulter, gebe ihm fünf dirham und slama

im pilo schiebe ich den perlenvorhang zur seite
der die lärmende welt von dieser oase der ruhe trennt
spüre das alte fett auf den kugeln, das leicht an den finger pappt
rieche den dampf aus der küche, ein gefühl der erleichterung
wenn ich diesen ort betrete, wo für mich die zeit still steht
dein bier ist schon fast gefroren, sagt aziz er
stellt targine, das storck aus dem gefrierfach vor mir auf den tresen

das bier ist kalt, die targine gut, danach gibt es meine gambas
aziz sagt ficken, schlafen auf deutsch, ich blasen
er legt den finger an den mund, ein langes psssssst
und lacht im fernsehen kracht ein flugzeug in einen wolkenkratzer
mir kommt das bekannt vor, aber ich vergesse immer die filmtitel
ich bestelle noch ein bier, aziz bringt mir brot
laut jammert oum kalzum von liebe und schmerz

vom am anderen ende des tresens fragt ein mann
ob man nicht fußball vom wochenende sehen kann
wieder kracht ein flugzeug in einen wolkenkratzer
komischer film, sage ich zu aziz, mach den ton lauter
oum kalzum und der spanische kommentator verschwimmen zu einem brei
wieder kracht ein flugzeug in einen wolkenkratzer
puta madre, sagt aziz, jetzt hat es sie auch einmal erwischt

nach ein paar minuten ist der ton wieder weg
es flimmern die spielberichte der spanischen liga
der mann am anderen ende des tresens ist zufrieden
gibt mir ein bier aus und sagt hamdulliallah
der saharoui, der direkt vor dem fernseher am tisch sitzt
starrt wie zuvor auf den kasten, tunkt mit brot seinen teller leer
oum kalzum jammert weiter über liebe, schmerz, alle singen mit

Dienstag, 20. November 2007

Alfred Hackensberger: Bekaa-Tal-Express

Es war ein Sonntagmorgen im Februar, an dem man besser im Bett bleibt. Vom Balkon im fünften Stock aus dunkle, schwarzgraue Wolken, die vom Meer auf Beirut zutrudelten. Der Wind schlug den Regen an die Fenster, als würde Gott im Himmel gerade seine Morgentoilette erledigen. Kurz nach sieben band ich mir die Schuhe, fluchte in einer dunklen, eiskalten Wohnung, die wie alle in Beirut keine Heizung hatte.

Wie musste das Wetter erst in den Bergen sein? Elendig werden wir im Schnee stecken bleiben, wenn wir überhaupt auf die Passtrasse kommen. Ewige Stunden in der Kälte, statt bis Mittag unter der warmen Decke liegen. Aber Olaf, der Dicke, hatte darauf bestanden. Wir fahren, egal was kommt, hatte er gestern abends am Telefon gesagt. Nichts wird aufgeschoben, mein Freund. Mal sehen, wie weit wir kommen.

George, der Fahrer, hatte einige Joints vorgedreht, die in der ersten halbe Stunde die kaputte Heizung im Auto ersetzten. George ließ das Fenster auf, für den Fall der Fälle, sagte er. Der Fall der Fälle kam in Form eines Polizisten, der mit grauer Regenkombi, die Kapuze tief ins Gesicht, mitten im Schneetreiben auf der Strasse stand. George drückte seinen Joint zwischen den Fingern aus. Der Polizist winkte uns an den Straßenrand, wo schon einige Autos standen, umringt von einem Heer von syrischen Hilfsarbeitern.

Schneeketten, sagte der Polizist auch zu uns und deutete mit dem Finger auf die Hinterreifen. Natürlich hatte George keine Schneeketten. Er musste erst los, welche in der improvisierten Schneekettenabteilung eines nahen Lebensmittelladens zu kaufen. Er brachte zweimal die falschen, mampfte dazu ungerührt jedes Mal einen neuen, matschigen Fertigkuchen aus der Plastikfolie. Nach seinen Anweisungen legten zwei syrische Hiwis mit bloßen Händen die Ketten um die Reifen.

Gut eine dreiviertel Stunde dauerte der Zwischenstopp, ein Warten in der nasswindigen Kälte einer Landstrasse. Dann kroch der alte Benz im Schneematsch langsam die Steigung hoch, auf der anderen Seite eine Rutschpartie hinunter. Nach fünf, sechs Kilometern konnten wir die Schneeketten runter nehmen. Besser gesagt, George ließ sie an einer Tankstelle runter nehmen.

Kurz darauf das Bekaa-Tal, wie es weit und breit da lag. Unter der Schneedecke schimmerte es braun und dunkelgrün. Da sind wir, sagte George und zündete einen neuen, seiner vorfabrizierten Joints an. Die Strasse führte einfach immer gerade aus, mitten durch die Ebene. Links und rechts Häuser, Dörfer, alle gleich graubraun, wenig einladend. Vielleicht lag es daran, dass kein Mensch zu sehen war.

Irgendwann sagte George, da ist Sahle. Er zeige mit dem Finger auf eine Gruppe von Häusern, die im selben Moment wieder verschwunden waren. Da habe ich gewohnt. Das Haus meiner Eltern. Inzwischen alles verkauft. Damals kannte ich jede Hure von Sahle bis nach Beirut. Er lachte.

Meine Zehen begannen abzusterben. Vom kleinen bis zum großen wurde einer nach dem anderen taub. Ich zog die Schuhe aus, massierte erst den linken, dann den rechten Fuß, um sie am Leben zu erhalten. Danach wackelte ich an den Zehen, als wären sie kaputte Schalter. Der Fahrtwind blies durch die Lüftung, die man nicht abschalten konnte. George sagte, das Auto ist für die Stadt gedacht, nicht für Schnee.

Erst als ich meine Füße einfach vergaß, wurde alles schlagartig besser.

Wohin fahren wir eigentlich, fragte Olaf.

Nach Britel?, gab ich an George weiter.

Ich weiß etwas Besseres, sagte dieser und bog von der Hauptstrasse rechts, in ein scheinbares Niemandsland ohne Verkehrszeichen und Ortsschilder.

Zuerst sah es so aus, als kannte er den Weg. Selbstsicher fuhr er links, dann rechts, nach einer langen Kurve wieder rechts. Wir hielten in einem Hof einer großen Villa. George stieg aus und fragte eine alte Frau, die die Tür aufgemacht hatte. Danach passierten wir zweimal ein größeres Anwesen, mit Garage und Garten. Beim dritten Mal stoppte George und hupte mehrfach. Nach einer Weile, sagte er, keiner zuhause. Wir warteten zwei Zigarettenlängen und einen Joint, bis ein Landrover mit Großfamilie anrollte. George stieg aus, wurde mit Kuesschen rechts, links und wieder rechts begrüßt. Alle lachten.

Alles klar, sagt George, als er sich wieder ins Auto setzte. Sie geben uns einen Jungen mit, der uns zum Haus bringt. Wir müssen nur ein wenig warten.

Die Oma der Familie winkte uns grinsend zu. Aber Olaf wollte oder konnte auch nicht warten. Er hatte einen Friedhof gesehen und war mit seiner Leica um die Brust geschnallt, losgezogen. Der Junge saß schon bei uns im Auto, als Olaf zurückkam. Geile Fotos gemacht. Friedhof im Schnee. Plötzlich winkte wieder die Oma aus dem Küchenfenster. Verpisst euch, rief die alte Dame mit Kopftuch. Aber schnell. Der Junge sagte, schön kalt in eurem Auto. Nichts für mich. Und die Kamera gefällt mir auch nicht. Seine Augen hatten so große Hoffnungen gemacht.

George startete den Wagen. Nichts wie weg. Wir können froh sein, dass sie nicht auf uns schießen. Er gab Gas und war erleichtert, als wir die lange Kurve, diesmal nach links, hinter uns hatten.

Was für ein Arschloch, sagte ich zu Olaf, der pikiert mit seiner Leica über dem dicken Bauch auf der Hinterbank saß. Keine Wunder, dass du im Jugoslawienkrieg eine Granate abbekommen hast. Haste da wohl auch ein geiles Foto gemacht?

George fuhr ohne ein Wort zurück auf die Hauptstrasse.

Wir fahren zu Zuhair, sagte er. Dort wird es euch bestimmt gefallen. Er war mein Nachbar in Sahle.

Im nächsten Dorf wurde erst einmal vor einer Metzgerei gehalten. Zwei Uhr, Zeit zum Mittagessen, George bestellte ein Kilo Lahme Barshin.

Wir schauten zu, wie sie auf den heißen Steinfliesen brutzelten. Im Laden stand ein kleiner Petroleumofen, dessen Rohr durch ein Loch im Fenster hinausging. Wir standen in einer lauen Wärme mit dem Geruch von verbranntem Teig, kauten an den Fladen mit Hackfleisch, während es draußen weiter und weiter schneite.

Eine Stunde später passierten wir einen einsamen Militärposten, der verlassen schien. Ein frierender Soldat hatte sich unter mehreren Decken in seinem Häuschen ohne Tür verkrochen. Mit einer abweisenden Kopfbewegung winkte er uns weiter.

Das Dorf lag auf einem kleinen Hügel, vielleicht 40, 50 Häuser groß. Auch hier kein Mensch zu sehen, alle Fensterläden geschlossen. Nach der dritten Rundfahrt endlich ein Lebewesen.

Was wollt ihr von Zuhair, fragte der Junge. Ah, ich verstehe, sagte er grinsend. Meine Schwester ist seine Frau. Er wohnt dort hinten im dem Haus und zeigte mit dem Finger auf einen mehrstöckigen Pyramidenbau.

Der Junge diktierte George die Telefonnummer. Eine Frau antwortete und sagte, kommt vorbei.

Unser Wagen fuhr langsam in die Garage unter dem Haus. Als wir ausstiegen, sind Sturmgewehre auf uns gerichtet. Drei Wächter mit schusssicheren Westen, an denen Granaten baumelten. Hier entlang, sagte ein blauäugiger, groß gewachsener Kerl. Er wirkte nervös und seine Pupillen waren viel zu groß für die dunkle Tiefgarage. Er ging hinter uns die Treppe in den fünften Stock hoch.

Das ganze Gebäude befand sich im Rohbau. Nur die oberste Etage war ausgebaut. Von der Terrasse ein Rundumblick weit in die Ebene hinein. An vier Eckpfeilern waren große Suchscheinwerfer angebracht.

Wir wurden in der Küche von Frau und zwei Kindern empfangen. Es gab Tee und endlich einen wirklich warmen Ofen. Olaf spielte mit den Kindern.

George sagte, ah, er liebt Kinder sehr.

Nach einer Weile kam Zuhair im militärischen Camouflageanzug und einer M-19. Olaf und ich dachten Militär oder Polizei. Zuhair lachte. Ich und Polizei, das ist ein schlechter Witz. Er sprach mit George über alte Zeiten. Erzählte, wie seine Mutter den Gefangenentransporter der Polizei stoppte und ihn befreite.

Sie hatte noch eine Kalaschnikow, sagte Zuhair. Aber das hier ist besser. Er hielt uns seine M-19 vor die Nase. Wunderbares Gerät, mit Granaten-Luncher.

Olaf machte eine abweisende Handbewegung. Ich bevorzuge Kalaschnikow. Ich bin ein altmodischer Typ.

Zuhair legte das Gewehr auf die Couch und die Kinder begannen, damit zu spielen. Olaf machte Fotos. Diesmal mit Erlaubnis.

George fragte, aber Zuhair sagte, nein, tut mir leid, das haben wir heute nicht. Ihr könnt das haben. Er deutete auf einen Sack, der 10 oder 15 Kilo schwer aussah. Nur keine Bange, einer meiner Wächter wird euch bringen.

Im Auto saß der blauäugige Lange hinter mir. Olaf begutachtete seine Python.

Das ist die Waffe der New Yorker Polizei. Ein schönes Teil, meinte Olaf und fragte, ob er sie nicht mal genauer ansehen kann. Der Lange nahm die Kugeln aus dem Magazin, bevor er Olaf die Waffe gab. Dafür war ich ihm sehr dankbar. Ich hasse es, wenn jemand mit einem geladenen Revolver hinter mir, im Wagen auf einem rumpelnden Feldweg spielt.

Im ersten Haus empfing uns ein Opa ohne Zähne schon draußen am Hof. Wie eine überzogene Sprungfeder lief er um den Wagen, riss die Türen auf, rief immer wieder, Willkommen, willkommen. Im Wohnzimmer saßen einige lethargische Figuren, die ihre Sturmgewehre und Kalaschnikows wie Regenschirme in einer Ecke abgestellt hatten. Den kantigen Landgesichtern fielen immer wieder die Augen zu. Ah, am richtigen Ort dachten wir. Kiloweise könnt ihr das haben, aber das andere leider nicht, bekamen wir jedoch auch hier hören. Die Frau des Hauses lief wie von einer Rakete getroffen vom Flur ins Wohnzimmer und wieder zurück. Sie stieß unmotivierte Laute aus. Der Opa ohne Zähne eilte ihr mit großen Schritten nach, man hörte laute Stimmen und Türen schlagen. Zeit zu gehen, sagte Olaf.

Der Lange lotste uns einige Kilometer weiter zum nächsten Weiler. Er stieg aus und brüllte in das Schneetreiben hinein. Jemand rief zurück und der Lange sagte, alles OK. Er nahm das Geld, verschwand im weißen Schleier. Wir warteten. Der Schnee deckte unseren Wagen mehr und mehr zu.

Es wird Dunkel, sagte George und schaltete immer wieder den Scheibenwischer ein, um wenigstens die Windschutzscheibe frei zuhalten. Der Lange kam nach einer Weile, ohne schusssichere Weste und Sturmgewehr. Ich bleibe hier und gab uns zwei Pakete. George startete erleichtert den Wagen. Am einsamen, scheinbar verlassenen Militärposten winkte uns der frierende Soldat ebenso desinteressiert durch, wie schon bei der Hinfahrt. George fuhr so aufmerksam, wie den ganzen Tag noch nie.

Zuhause in Beirut saßen wir neben dem elektrischen Heizkörper in meinem Arbeitszimmer. Wir tranken Almaza, libanesisches Bier. Ich las Olaf stundenlang aus „Arabien Remixed“ vor. Beide mussten wir uns ermahnen, die Augen offen zu halten. Spät nachts fuhr Olaf, der Dicke, über die Autobahn nach Jounieh. Die Schlaglöcher auf der Strecke hielten ihn wach. Sein Haus lag direkt unterhalb der Harissa, der riesigen Madonna-Statue, die weiß, mit ausgebreiteten Armen, schon von weitem, ganz oben am Hügel, zu sehen ist.

Ich räumte noch auf und konnte endlich wieder ins Bett gehen.

Alfred Hackensberger: Orientalismus/Deutsch

vorab:

der orient,
sagten mir meine studenten
sei ein konstrukt
eine erfindung des westens
nichts davon sei wahr

man finde nur,
was man suche
das wüsste man
in der physik schon längst
ah, sagte ich

weiter:

klar, mir gefällt der blick aus meinem zimmer
auf die grosse moschee von tanger
der turm erleuchtet in der nacht
und gegen den muezzin
der einen frühmorgens aufweckt
nichts einzuwenden

in m’sallah, wo ich vorher wohnte
hörte ich mehrmals am tag
wenn sie die toten nicht zum waschen,
wie ich dachte
sondern zum beten
dort in die moschee brachten
dann reckte ich meinen kopf aus dem fenster
so nett anzusehen die träger
das grüne tuch ueber dem leichnam
die golden eingestickte schrift,
der monotone singsang
eine sure aus dem koran
nichts einzuwenden

mir gefällt auch der gedanke an frischen honig
den sie den toten in den mund träufeln
dazu ein paar tropfen wasser gegen den satan,
um die geister zu vertreiben
die vom weg zu allah abringen könnten
so jedenfalls, habe ich es gelesen

zwischendurch:

klar, zuhause würde man den pfarrer
wenn er vom kirchturm,
fünfmal täglich das ave maria beten würde
früher oder später erschiessen wollen
aber mir gefallen die osterprozessionen
die semana santa in sevilla zum beispiel
das gedränge, das getrampel der menschenmenge
der kitsch, die bigotte hysterie, die inbrunst
natürlich die heilige jungfrau auf den schultern starker männer
so ist das nicht

weiter:

ich mach noch einen schritt
ich muss nämlich gestehen
ich hab eine vorliebe für waffen
vorzüglich für das maschinengewehr
mir gefallen diese männer
die dieses ding so martialisch
wie eine gefährtin in händen tragen
und mit ihr so hart im anschlang schön posieren
selbst wenn diese männer bart tragen
kaftan oder jellabah
es ist ein schöner anblick
die wilden männer in der wüste
(nicht die märtyrer mit dem tuch um den schädel
das ist eine schreckliche aesthetik)
es ist der ausblick auf den kampf
den grossen kampf gegen das böse böse
den niemand mehr führen möchte
jedenfalls nicht im golden westen
wo alle nur noch demokratisch sind
klar, viele werden sagen,
das ist hirnrissig
den saulus zum paulus zu machen
die leute, die als erstes an deine tür klopfen
wenn es so weit ist,
wenn ihre stunde geschlagen hat
das irdische armageddon rollt
die säuberung von allen ungläubigen
das blut im namen gottes fliesst
wie so oft in irgendeinem namen

hinterher:

da bleibt einem nur
sich den eigenen tod recht hübsch vorzustellen
wie im haus gegenüber etwa
als der nachbar vor kurzem
plötzlich
frühmorgens am herzinfarkt
ganz schnell hinübersegelte

zwei tage alle türen offen
kommen und gehen
im salon die frauen
die männer abseits, im anderen zimmer
alle mussten brot und honig essen
aus einem riesigen pot
die bösen geister wieder?

am dritten tag
durfte im haus wieder gekocht werden
essen und trinken, familie und freunde
hundert, hundertfünfzig zweihundert menschen?
und natürlich aus dem koran gesungen
stundenlang, stundenlang
dass mir ganz schwindelig wurde

das klappern aus der küche
der femmes de ménage
kam laut bis in mein zimmer hoch
als würden sie neben mir stehen
die schwitzenden, jungen mädchen
vor meinen augen, der dampf im salon vom essen,
von den menschen, von der luftfeuchtigkeit des winters

jetzt höre ich die kinder draussen
vor der tür tanzen schreien laufen spielen
als wärs keine beerdigung
als wär niemand gestorben
als würd es einfach weitergehen
klar, irgendwie denkt man
so könnte der eigene tod sein
auch wenn man unter der erde liegt

jetzt haben sie aufgehört zu singen
vielleicht essen sie wieder
es ist so still plötzlich
das grosse gemurmel ist weg
nur die kinder aus der ferne
für sie geht es noch lange so weiter
von einem fest zum anderen
bis zu meinem
bis zu deinem
bis zu ihrem eigenen
es ist 22 uhr 14 und 35 sekunden
montag, den 27 januar 2003

schluss